Durchbruch: Echtzeit-MRT visualisiert Bewegungsdynamik des Stotterns

Forschenden ist es erstmals gelungen, die Bewegungsmuster der inneren Sprechmuskeln eines stotternden Patienten mittels Echtzeit-Magnetresonanztomografie (MRT) darzustellen.

Die Methode trage dazu bei, "das Verständnis der mechanischen Entstehung des Stotterns zu verbessern, Fehlfunktionen bei Sprechstörungen zu identifizieren sowie den Erwerb und die Verstärkung neuer Sprechmuster zu unterstützen, so die beteiligten Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (MPI-NAT) . 

Tatsächlich gilt die Visualisierung als entscheidender Durchbruch. Denn die Bewegungen der inneren Sprechmuskeln sind von außen nicht sichtbar und waren bislang weitgehend unzugänglich und unverstanden. Entsprechend war bislang auch unklar, was die inneren Sprechmuskeln und -organe beim Stottern "falsch machen". Jüngste Fortschritte in der Echtzeit-Magnetresonanztomografie (MRT) machen die Bewegungsmuster der inneren Sprechmuskeln wesentlich besser sichtbar.

In Kooperation der Arbeitsgruppen um Martin Sommer, Oberarzt und Leiter der „Interdisziplinären Arbeitsgruppe Redeflussstörungen“ in der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), und  Jens Frahm, Leiter der Forschungsgruppe „Biomedizinische NMR“ am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (MPI-NAT), gelang es, mittels Echtzeit-MRT die Bewegungen der Zungenspitze, des Zungenkörpers und des weichen Gaumens eines 42-jährigen stotternden Patienten darzustellen.

Dieser las während der Untersuchung einen Text im MRT-Scanner. In dem Video, das auf 55 MRT-Scans pro Sekunde beruht, sind die Kernsymptome des Stotterns zu sehen: unwillkürlich auftretende Laut- und Silbenwiederholungen, Lautdehnungen sowie hörbare oder stille Blockaden.

"Diese Symptome zeigen sich im Echtzeit-MRT als anhaltende Muskelkontraktionen, das heißt ein Zusammenziehen der Muskulatur, und sich wiederholende Bewegungen in Teilen der Zunge, der Lippen und des Gaumensegels", erklären die Forschenden.

Dass Stottern nach wie vor ein wenig verstandenes Phänomen ist, beschrieb das Ärzteblatt in einem lesenswerten Übersichtsartikel. Zu den möglichen Therapieformen zähle auch der Einsatz von Medikamenten:

"In der Vergangenheit gab es Versuche (20), in der Stottertherapie Pharmaka, zum Beispiel Haloperidol als systemisches und Botulinumtoxin als lokal in die Kehlkopfmuskulatur zu injizierendes Medikament einzusetzen. Obwohl weiterhin mit sehr unterschiedlichen Wirkstoffen experimentiert wurde und wird, hat sich noch keines bewährt, weil dauerhafte Erfolge ausblieben. Bei den beiden Wirkstoffen Riperidon und Olanzapin muss gegebenenfalls ein Off-Label-Use beachtet werden; noch nicht zugelassen sind verschiedene GABA-A-Rezeptor-Modulatoren wie Pogaclone (www.patentstorm.us/patents/6855721.html)."

Der aktuelle Durchbruch könnte daher in Zukunft bestehende Therapien besser überwachen helfen. 

„Durch diesen Nachweis der mechanischen Entstehung der grundlegenden Symptome verbessert die Echtzeit-MRT unser Verständnis und unser Denken über das Stottern. Da wir direkt sehen, wo die inneren Sprechmuskeln und -organe bei dieser Art von Redeflussstörung Fehler machen, werden wir künftig auch Varianten dieser vielfältigen neuromuskulären Störung identifizieren können“, sagt Sommer.


Originalpublikation:

Visualising the dynamic morphology of stuttering using real-time MRI - The Lancet

 

Weiterführende Informationen:

Stottern – Pathogenese und Therapie (aerzteblatt.de)

 

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Prof. Dr. Martin Sommer, Oberarzt und Leiter der „Interdisziplinären Arbeitsgruppe Redeflussstörungen“ in der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). | Copyright: bvss/Michael Kofort |

Prof. Dr. Martin Sommer, Oberarzt und Leiter der „Interdisziplinären Arbeitsgruppe Redeflussstörungen“ in der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). | Copyright: bvss/Michael Kofort |